Souffleuse Boese, Dichterin

Im einundzwanzigsten Jahrhundert,
in welchem nichts mehr groß verwundert,
stößt man auf skeptische Gesichter,
verkündet man, man werde Dichter:
ein Lyriker, der mit diversen,
teils traurigen, teils heitren Versen
den Lebensunterhalt bestreitet.
Die Meinung nämlich ist verbreitet,
mit so etwas wie Poesie
verdiene heut selbst ein Genie,
wie’s Goethe war, sein täglich Brot
erst, ist es hundert Jahre tot.

Ein solcher Spruch erstickt im Keim
des Dichterlehrlings Lust am Reim,
tut Künstlerträumen gar nicht gut
und nahm auch mir ein Fünkchen Mut.
Zwar war ich kreativ und fleißig,
bloß quicklebendig, wurd‘ grad dreißig
am zweiundzwanzigsten April.
Doch wenn man etwas wirklich will,
mit Herz und Seele, Kopf und Bauch,
dann, dacht‘ ich störrisch, schafft man’s auch!

So schrieb ich quasi als Versuch
ein tausend Zeilen langes Buch.
Es drehte sich ums Opernhaus,
doch nicht um Bühne und Applaus,
mein Thema war die Unterwelt,
wo weder Licht noch Ruhm hinfällt
und ich schon seit so manchem Jahr
die gute Fee im Kasten war:
Ich half den großen Opernsängern
tagein, nachtaus bei kleinen Hängern
auf ihrem Weg zum hohen C.
Und ausgerechnet dem Metier,
das so obskur ist und geheim,
verdanke ich den besten Reim,
den Künstlernamen ohnegleichen,
ja gradezu mein Markenzeichen:

Ich hab nicht tänzerische Triebe,
denn ich bin keineswegs die Liebe,
ich sing nicht Arien als Soubrette,
denn ich bin nicht einmal die Nette,
ich bin Cornelia, die Boese,
Gedichte schreibende Souffleuse.
Der Titel ist mir längst geblieben,
hab ich auch heute mehr geschrieben,
als einst geflüstert und souffliert.
Dass mein Berufswunsch funktioniert,
ist einzig sein Verdienst: Ich bin
Souffleuse Boese, Dichterin.